Hildegard & Wilfrid

Wilfrid Perraudin – Hildegard à la cigarette I

Wilfrid Perraudin – Hildegard à la cigarette I
1952 – Ölfarbe auf Leinwand – 61x46 cm
Ref.-Nr. 8899 (Im Nachlass, unverkäuflich)

von Hermann Gombert, 1987
(Dr. Hermann Gombert war von 1953 bis 1974 Direktor der Museen der Stadt Freiburg.)

Lieber Wilfrid!

Es war in den Jahren nach dem Krieg, als wir uns in Freiburg begegneten. Man stand noch verloren in einer zerbrochenen Welt, von Trümmern sinnloser Zerstörung umgeben, aber befreit von einer fürchterlichen Last, froh überhaupt noch da zu sein. Doch gleich begann eine Suche nach einer geistigen Wirklichkeit, in der man wieder geborgen war, die einem half, sich selbst zu finden. Und da gab es einige Lichtblicke. Ich erinnere mich an eine sehr schöne Ausstellung von Werken der Maler und Bildhauer der Badischen Sezession, die im ersten Obergeschoss der Universität aufgebaut war, Kunstwerke, die den freiheitlichen Geist jener zeigten, die in den zwanziger Jahren die Kultur Berlins mitbestimmten: Hofer, Bizer, Schnarrenberger, um nur wenige zu nennen. Es war ein eigentümlich beglückendes Erlebnis, mitten in den Trümmern strahlende Kunst zu sehen und mit einer Welt bekannt zu werden, die uns jahrelang verschlossen war. Ein anderes Mal standen wir staunend vor den Bildern der großen Meister Frankreichs, eines Pablo Picassos, eines Juan Gris, Georges Braque und Marc Chagall und anderer, die von der französischen Militärregierung im Friedrichsbau und später mit anderen Kunstwerken bereichert im Paulussaal gezeigt wurden. Es war eine uns vollkommen fremde Kunst, so ganz anders als alles, dem wir bisher begegnet waren. Wer wusste schon etwas von dem Kubismus, der in den Bildern zu neuem Ausdruck führte. Sie öffneten uns die Augen für eine Schönheit, die von ganz anderen Werten ausging. In der Kunsthalle in Basel fand man den Zauber der Südsee, der aus den Bildern Paul Gaugins strahlte. Auch der empfindsamen Kunst des Paul Klee begegneten wir dort zum ersten Mal. Man könnte noch von dem einen oder anderen berichten, das einem Freude und Hoffnung schenkte. Bei aller äußeren Armseligkeit des Daseins war diese Zeit so schön, dass man noch heute dafür dankbar sein kann.

Damals trafen wir uns, und dies war für mich ein besonderes Erlebnis. Du warst Kunsterzieher an der französischen Schule, hattest in Paris gelebt, wo Du an den Écoles Nationales supérieures des Arts Décoratifs studiertest und an den Beaux Arts Schüler von Jean Souverbie warst. Der Besuch der Galerien und Museen machte Dich mit der modernen Kunst Deiner Heimat aufs Innigste vertraut. Du hattest die gleiche Liebe zu den Werken des klassischen Picasso, eines Henri Matisse, erlagst dem lyrischen Zauber eines Amadeo Mondigliani und den Farben eines Georges Rouault, Raoul Dufy und anderer Maler, die mir selbst sehr nahe stehen. Eines Tages ludest Du mich zu einem Besuch in Deinem Atelier ein. Ich war freudig überrascht, als ich Deine Bilder sehen durfte, die von einem Zauber heiterer Anmut behaftet, die Schönheit der Frau und des Kindes widerspiegelte, frei von jeder Problematik, in heiterer Unbefangenheit gegeben. Es war eine ganz andere Kunst, die – so schien es mir – eingebettet war in das neue Sehen von Mensch und Natur, das sich in den Gemälden der klassischen Moderne Deiner französischen Heimat offenbarte. Ich fand es schön und ganz selbstverständlich, in Deinen Bildern den leisen Hauch der großen Kunst Frankreichs zu entdecken, denn es war die Welt aus der Du kamst und von der wir Deutschen fasziniert waren. Das volle Ja, das Du der Schönheit der menschlichen Figur schenktest, beseelt von einem natürlichen Liebreiz, erfreute mich. Alles war heiter, gelöst, ohne Probleme vorgestellt, eine Kunst, die ein besonderes Ja zum Leben sagte. Dies so zu sehen, war Deine eigene Leistung. Die Themen waren Frauen im Alltag, im Café, die Mutter mit dem Kind, eine Darstellung, der man in Frankreich mit der hübschen Bezeichnung Maternité benennt. Man sah Frauen am Brunnen, Wasserträgerinnen und reizende Kinderbildnisse. Es war eine ungebrochene Welt, gleichsam der Abglanz Deiner Familie, denn der Charme Deiner Frau stand für den Charme aller Frauen, das Kindliche spiegelte sich in den Gesichtern Deiner beiden Buben. Die Beherrschung der Wiedergabe der menschlichen Figur, bewundernswert von Dir gestaltet, wo der Schwung der Linie den Zauber der Schönheit auslöst, hinreißend besonders in der fast unüberschaubaren Fülle Deiner Zeichnungen, ist Dein großes Talent. Dabei geht es Dir bei der Gestaltung nicht um das Besondere einer Person, sondern mehr um das allen Gemeinsame, allen Gegenwärtige. Du verzichtest auf jedes störende Detail, vereinfachst das Darzustellende, hebst es aus der natürlichen Umwelt heraus, so dass nur der Mensch als solcher in Deinen Bildern sich offenbart. Auffallend ist ferner die Harmonie im Bildaufbau. Alles ist ausgewogen, die Wiedergabe der Figur im Ganzen des Bildes, die räumliche Gestaltung der Umwelt. Eines fügt sich zum anderen, ohne dass ein Fehl entsteht. Auch diese Ausgewogenheit führt zur Schönheit. Verhalten bewegen sich die Figuren in einem stillen Raum. Wohlabgestimmt sind auch die kraftvollen Farben, die dem Ganzen den rechten Klang geben. Schaut man das so geschaffene, dann erlebt man eine feine Stille, die von dem Bild ausgeht, erlebt die Schönheit des Kreatürlichen, des schönsten Wesens, das Gott geschaffen hat, von Dir uns neu geschenkt aus ehrfürchtigem Geist. Und eine leise Wehmut liegt im Ausdruck der Gesichter.

Seit 46 Jahren lebe ich mit einigen Deiner Bilder, zu denen heute auch Landschaften gehören, über die das Gleiche zu sagen wäre. Sie schenken mir täglich Freude, beglücken mich durch ihr Dasein. Für die Freude, die Du mir mit Deinen Bildern machst, danke ich Dir herzlich.

Dein Hermann Gombert